BREXIT - Denn sie wissen nicht, was sie tun
Selten war ein Freitag so heiß und gewittrig und dabei voll offener Fragen in rauchenden Köpfen und besorgten Herzen. Ein Schock geht durch Europa.
In den nächsten zwei Jahren wird sich vermutlich trennen, was nie so recht zueinander passen wollte. Schluss mit den Extrawürsten für die Briten. Und vermutlich auch Schluss mit dem Vereinigten Königreich. Schottland und Nordirland wollen nicht auslöffeln, was ihnen überwiegend ungebildete, ältere Bürger eingebrockt haben. Während sich im ganzen Land der Widerstand junger Menschen regt, wird (noch) Großbritannien um neue Handelsverträge feilschen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in eine lang andauernde Rezession fallen.
Dafür kriegen sie endlich wieder gescheite Glühbirnen und krumme Bananen.
Doch für die EU könnte dieser Schock genau die Gelegenheit sein, sich zu demokratisieren, des Volkes Interessen (endlich) Gehör zu verleihen.
Der Brexit könnte es schaffen, den EU-Delegierten laut ins Ohr zu brüllen, dass wir die bürokratische Gängelung satt haben, und dass wir uns weniger für die Menge Zimts auf Dänemarks Zimtschnecken interessieren, als wir uns vor einem unheimlich intransparenten TTIP fürchten. Dass wir uns vor allem fürchten vor frustrierten Menschen, die sich mangels Vertrauen in die politischen Vertreter fragwürdigen Gruppierungen anschließen. Ein Rechtsruck geht durch Europa und macht sich in Deutschland, Österreich, Frankreich und anderen Ländern breit.
Insofern macht der Brexit tatsächlich auch heute schon ein klein wenig Hoffnung. Hoffnung darauf, dass Brüssel nicht mehr länger weghören kann, dass dieser Schlag in die Magengrube des europäischen Gedankens so sehr nachhallt, dass man sich traut innezuhalten.
«Großbritannien hat gestern darüber befunden, aus der Europäischen Union auszutreten. Dennoch ist die Sonne heute Morgen wieder aufgegangen. Und so bedauerlich das eine ist, so beruhigend ist das andere.»
(Bundestags-Präsident Norbert Lammert am Freitagmorgen)
Und wer weiß, ob man nicht auch auf der Insel noch einmal innehält? Schon am Samstag hatten über 2 Millionen Briten eine Petition unterschrieben, die eine neue Abstimmung fordert.
Die Aktienmärkte haben am Freitag zurückgenommen, was sie in der vergangenen Woche zugelegt hatten - in Vorfreude auf die Absage eines Brexit. Denn Demoskopen und Buchmacher prognostizierten einen anderen Wahlausgang.
Nun müssen wir uns wieder einmal auf sehr nervöse Märkte einstellen. Besonnenheit und Nerven bleiben gefragt.
Nathalie Aulbach & Susanne Kazemieh